»Interpretation und Lektüre« - Der Titel scheint zwei Phasen literaturwissenschaftlicherDiskussion zu benennen. An die Stelle der Interpretation, die eine weitgehendfestgelegte Bedeutung des literarischen Texts zu ermitteln trachtet, scheintim Zeichen des Dekonstruktivismus das Konzept der Lektüre getreten zu sein,das den Text nicht mehr anders als ein Ensemble von je individuellen, kontingentenDeutungen kennt. Die Herausgeber dieses Bandes gehen demgegenüber davonaus, daß die mit den beiden Begriffen bezeichneten Positionen keine historischenStationen im Ablauf der Entwicklung der Geisteswissenschaften bezeichnen,sondern letztlich komplementär zueinander stehen. Die faktische Vielzahlvon Interpretationen stellt zweifellos den Glauben an die eine Textbedeutungin Frage, doch die Annahme einer Beliebigkeit kontingenter Lektüren wirddem praktischen Umgang mit dem Text ebensowenig gerecht. Da sich das betreffendeProblem theoretisch vermutlich nicht lösen läßt, wird hier eine Rückbesinnungauf die Praxis der verschiedenen Disziplinen vorgeschlagen, die das betreffendeProblem je schon pragmatisch gelöst haben. Der Band versammelt deshalbeine Reihe von Fallstudien, die die skizzierte allgemeine Problematik jeweilsanhand eines konkreten Beispiels diskutieren.