Der Titel "wunderwachsen" unterstellt, dass Wunder Zeit brauchen, sich zu entwickeln. Die Geburt Jesu wird, als sie geschieht, kaum wahrgenommen, geschweige denn als historisches Ereignis gefeiert. Der Tod Jesu ist ebenso einer der unzähligen, grausamen Exekutionen im römischen Reich. Die Auferstehung hat niemand erlebt. Erst nach und nach werden sie als Wunder, als umstürzende Ereignisse gedeutet. Die Wunder wachsen. Und sie verändern Lebenskonzepte und Weltsichten ganzer Kulturen. Die Veränderungen selbst sind das eigentliche Wunder und nicht das Ursprungsgeschehen. Wie die Astrologen ein paar der unzähligen Sterne miteinander verbinden und daraus ein Sternbild formen, so verbinden sich in der Glaubens- und Denktradition einzelne Lichtpunkte zu einem wundersamen Verstehen. Warum diese Erklärung? Sie hat mit dem wenig geläufigen Untertitel Lyrische Meditationen zu tun. Meditation wird gewöhnlich als Versuch verstanden, durch die Oberfläche hindurch zum Kern einer Sache zu kommen. Anders gesagt, eine Sache oder ein Ereignis solange zu umkreisen, bis sich ihr wirklicher Sinn erschließt. Das ist die Absicht auch der vorliegenden Texte. Die Themen der vier Abschnitte dieses Bändchens WERDEN - WEICHEN - WANDELN - WACHSEN möchten Erfahrungsfelder des Menschseins abgrenzen, die in den großen Ereigniserzählungen der Christen - Schöpfung und Geburt des Gottessohnes, Anfechtung und Leiden, Auferstehung und Erhöhung und Vollendung - zur Sprache kommen. Diese Verbindung lockt, sie immer wieder neu zu befragen und aus der eigenen Perspektive zu deuten, das heißt sie meditativ zu begehen.
